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ZeitGeschichte
Der Freiherr und sein
Das Fahrrad –
wie alles begann Rennpferd aus Holz
n einem Sommertag im Jahr 1817 staunten die damit, die Draisine sei auf trockenen Fußwegen so
Mannheimer nicht schlecht, als auf der Chaussee schnell wie ein Pferd im Galopp und bergab wie eines
Anach Schwetzingen ein Mann auf einem zuvor auf der Rennbahn.
noch nie gesehenen zweiräderigen Gefährt in raschem
Tempo an ihnen vorbeizog. Auf dieser Testfahrt erreich- Andere Erfinder, wie Denis Johnson in London, griffen
te der badische Forstbeamte und Erfinder Karl Freiherr das Konzept rasch auf. Johnson entwickelte eine verbes-
von Drais dank guter Straßenverhältnisse eine erstaun- serte Version der deutschen Laufmaschine, die filigranen
liche Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa fünfzehn Räder bestanden nun aus Metall. Im Vereinigten König-
Kilometern in der Stunde. Er war damit dreimal so reich wurde sie unter dem Namen „Hobby-Horse“ sehr
schnell wie ein Fußgänger. beliebt, hauptsächlich in der Londoner Society. In der
Folge wurde der Besitz eines Velozipeds („Schnellfuß“),
Schon im folgenden Jahr 1818 wurde seine Laufmaschi- wie man das neuartige Fahrzeug auch nannte, zu einem
ne, die zunächst nach ihm „Draisine“ genannt wurde,
patentiert: Es war das erste lenkbare, zweirädrige, von
Menschen angetriebene Fahrzeug.
Eine solche Draisine wurde aus Eschenholz gebaut. Sie
hatte eisenbereifte Holzräder, außer einem gepolsterten
Sattel keinerlei Federung, keine Bremse und noch keine
Pedale. Sie wog etwa 50 Pfund, kaum mehr als ein mo-
dernes Hollandrad.
Die Erfindung wurde begeistert aufgenommen. Die
tollkühnen Fahrer trieben ihre Draisinen mit den Füßen
voran und versuchten gleichzeitig die Balance zu halten,
damals etwas vollkommen ungewohntes. Bergab ließ
man sich, berauscht von der Geschwindigkeit, rollen
und hoffte, das bremsenlose Gefährt irgendwie wieder
zum Halten zu bekommen. Eiserne Schuhspitzenscho-
ner gehörten zur Ausrüstung des Fahrers. Drais warb
40 familienmagazin | Frühjahr 2024