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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG 5 | 2020/21
Frustrationstoleranz zu steigern – das Wenn das Kind spürt, Mama liebt
Wichtigste was Kinder lernen können, mich, auch wenn wir Streit haben,
dürfen und SOLLTEN! Es geht nicht sie sieht und versteht mich, auch wenn
darum, den Kindern hier das Paradies sie mir nicht alle Wünsche erfüllt,
auf Erden zu bereiten. Im Gegenteil. Es und egal was passiert, die Beziehung
geht darum, mit den Kindern gemein- zu ihr ist nie gefährdet, sondern sicher,
sam zu erleben: Das hier ist nicht das dann hat das Kind eine gute Mutter!
Paradies, sondern hier ist eben alles
polar und gegensätzlich. Es gibt gute Und wenn Sie jetzt noch die ultimative
und schlechte Tage. Mal hat die Mama Antwort auf Ihre Frage „Bin ich eine
gute Laune, mal ist sie genervt. Mal gute Mutter?“ hören wollen, dann be-
bekomme ich mein Lieblingsessen, antworten Sie sich die folgende Frage:
© Foto Ventura nicht raus zum Spielen, mal scheint die „Was habe ich bisher von meinem Kind
mal nicht. Mal regnet es und ich kann
gelernt?“
Sonne und ich kann ins Schwimmbad
gehen. Bitte verstehen Sie, dass gera-
Zur Beantwortung und als Ratgeberin de die Erfahrung von diesen Gegen- Wenn Sie jetzt spontan sagen: „Was
befragen wir Sabine Tewes, Ärztin und sätzen für die Entwicklung des Kindes soll ich denn von meinem Kind lernen,
Familientherapeutin in Oldenburg wichtig ist. das ist doch noch ein Kind?“, dann
denken Sie bitte noch einmal nach.
Versuchen Sie nicht ständig, Ihrem Natürlich sind wir als Erwachsene
Kind Enttäuschungen und persönliche unseren Kindern in bestimmten Din-
Krisen zu ersparen. Aber: Lassen Sie es gen mit unserer Erfahrung und unse-
spüren, dass Sie sehen, dass es Krisen rem Wissen voraus. Deshalb ist es ja
vielleicht nach einer Selbstverständ- und Enttäuschungen sind! auch unsere Verantwortung, ihnen in
lichkeit, doch das ist es nicht. Sie Zeigen Sie ihm: Ich fühle mit dir. Ich bestimmten Situationen konsequent
haben Ihren Kindern das Leben ge- weiß, wie traurig du bist, wenn ich Regeln und Grenzen zu setzen.
schenkt. Was für ein Geschenk, das Sie dir nicht das kaufen kann, was du dir
Ihren Kindern bereits gemacht haben! wünschst. In dieser Krise Zuwendung Aber es gibt eine Ebene, da sind wir
und Verständnis zu erfahren, ist das alle einzigartige und gleichwertige
Sie hinterfragen Ihr Verhalten in der Wichtigste. Sagen Sie nicht: „Stell dich Wesen. Jeder von uns ist ein Unikat.
Erziehung – das ist gut. Nur so sind nicht so an, sei nicht traurig“, sondern Sie als Erwachsene, aber auch Ihr
Sie bewusst und nicht blind in Ih- sagen Sie: „Ich weiß, wie blöd das für Kind. Also, schauen Sie einmal genau
rem Tun. Sie machen Fehler. Das ist dich ist“. Und dann bleiben Sie kon- hin. Was kann oder hat Ihr Kind, was
so, und Sie wissen das. Sie sind ein sequent und halten aus, dass Ihr Kind Sie nicht haben?
Mensch und nicht der liebe Gott! Hier traurig oder wütend ist.
auf der Erde werden Fehler gemacht. Eine besondere Form von Fröhlichkeit?
Menschen machen Fehler, und es ist Auch Streitereien sind wichtig – wenn Eine spielerische Leichtigkeit? Ein gro-
gut, wenn Kinder lernen, wie man mit das Kind die Erfahrung macht, dass ßes Herz, was schnell verzeiht? Eine
Fehlern umgeht, denn sie werden auch man sich danach wieder verträgt und bedingungslose Liebe für Schwächere?
welche machen. Wenn Sie denken, Sie aussöhnt. Nur ein Streit erlaubt die Eine besondere Willensstärke? Selbst-
haben einen Fehler gemacht, indem Erfahrung, sich zu entschuldigen, zu bewusstsein?
Sie zum Beispiel Ihr Kind ungerech- verzeihen und wieder zu vertragen.
terweise angeschrien haben, weil Sie Versuchen Sie einmal auf Ihr Kind
vielleicht einen anstrengenden Tag Was immer hilft, ist Humor. Wenn zu schauen, als wäre es ein fremdes
im Büro hatten, entschuldigen Sie Situationen mal wieder eskaliert sind Wesen, das Sie noch nicht kennen. Was
sich. Erklären Sie dem Kind, wie es oder wirklich schräg entarten, fragen macht dieses Unikat aus? Was ist das
Ihnen geht und dass Sie zu ungeduldig Sie sich: „Ist es das wert? Geht die Welt Besondere? Was bewundern Sie? Was
waren. So lernt das Kind, wie man sich daran zugrunde?“ Nein? Dann nehmen können Sie von ihm lernen oder sich
entschuldigt und wie man verzeiht. Sie es mit Humor und lachen mit dem abgucken?
Kind gemeinsam. Eine gute Mutter ist
Wenn Sie den Kindern nicht all ihre auf jeden Fall eine möglichst ent- Sobald Sie etwas finden und sagen:
Wünsche erfüllen können – sowohl spannte. Eine verbissene Mutter, die „Ja, das ist toll, davon möchte ich et-
finanziell als auch emotional – wun- alles richtig machen will, sich ärgert, was lernen!“ – in dem Moment haben
derbar. So lernt Ihr Kind, dass eben wenn sie ihren eigenen Ansprüchen Sie Ihr Kind in seiner Einzigartigkeit
nicht alle Bedürfnisse im Leben sofort nicht genügt, ist nicht gut. Überper- gesehen und angenommen. Und genau
und immer erfüllt werden. An dieser fektionismus ist nicht gut. Lieber mal diese Haltung macht Sie auf der Stelle
Herausforderung kann das Kind nur alle Fünfe gerade sein lassen. zu einer guten Mutter!
wachsen. Es wird lernen, seine eigene
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