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FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG 2 | 2022
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Familie auseinander zu reißen – auch unseres Gegenübers achteten, da eine Dinge darunter leiden müssen- das
schwierig. Eine Nachbarin erfuhr von Übersetzungsapp eben nicht für Zwi- sind Fragen, die man sich vorab unbe-
dem Problem und stellte, nach kurzer schentöne funktioniert. dingt ehrlich stellen sollte. Das wieder-
Überlegung, ihre eigene kleine Einlie- kehrende, offene und erwartungsfreie
gerwohnung zur Verfügung. Gemeinsam Gemeinsame Abendessen, Kuchen Gespräch sollte viel Raum bekommen.
wurde wieder geräumt und sortiert backen und Spaziergänge trugen und Und natürlich müssen mietrechtliche
und schließlich konnte die ukrainische tragen noch immer dazu bei, dass wir Fragen vorab geklärt sein, um den
Familie bei uns ankommen. Nach einer uns nach und nach einander näher Geflüchteten eine verlässliche Bleibe
viertägigen Reise, vielen Ungewisshei- kennenlernten. Wir ließen uns auf bei- bieten zu können.
ten und Ängsten kamen sie erschöpft den Seiten Zeit, ließen vieles auf uns
und mit wenig Gepäck an. Es wurde zukommen, warteten ab, wie sich die Meistens ist es eine Bereicherung: Die
eine sehr tränenreiche, aber sofort auch Dinge entwickelten. Wir erfuhren erst Situation hat die Nachbarschaft enger
sehr herzliche Begrüßung. Die Kinder dann Details, als sie bereit waren, darü- zusammengebracht und uns gezeigt,
verständigten sich mit Händen und Fü- ber zu sprechen. So erzählte die Mutter dass wir uns aufeinander verlassen
ßen und wir waren erleichtert, als nach nach ein paar Tagen, wie die Familie können. Wir lernen uns näher kennen.
einigen Stunden das erste schüchterne die Nächte vor der Abreise im Keller Ich mache außerdem die Erfahrung,
Lächeln auf den müden Kindergesich- verbracht hatte, wie der Schulunter- dass es für sehr viele Jugendliche und
tern zu sehen war. Wir konnten und richt trotzdem online weitergeführt Schüler:innen selbstverständlich ist,
wollten uns gar nicht ausmalen, was für wurde – auch jetzt noch, aus der Ferne. sich zu engagieren und freue mich
eine bedrückende Erfahrung die Flucht Sie erzählten, wie für sie Sirenen zum über die Offenheit, mit der meine Kin-
für sie gewesen sein mochte. Alltag wurden und wie wohltuend die der die Gleichaltrigen aufnehmen. Eine
fast ländliche Ruhe nun auf sie wirke. gewisse Demut und Dankbarkeit stel-
In den nächsten Tagen gingen wir eher Wir unterhalten uns über russisch- len sich ein, was sehr wohltuend ist.
behutsam vor. Im Haus hatten wir uns ukrainische Familien, die sich über den Ohne Frage: Die kulturellen Unter-
darauf verständigt, uns die Aufgaben zu unterschiedlichen Blick auf die Lage schiede sind groß. Aber wir fi nden viele
teilen. Das war sehr gut, denn als Fa- zerstritten hatten. Sie berichten, wie sie Gemeinsamkeiten. Wir lachen über die
milien haben wir selbst im Alltag auch die russischen Nachbarn früher als Brü- offensichtlichen Fehler, die bei der
viel um die Ohren. Aber es stand einiges der und Schwester angesehen haben Übersetzung mit dem Handy entstehen,
an. Neben Behördengängen, Schulsuche und nun fassungslos sind. Wir spre- wir sehen Ähnlichkeiten und fühlen
und erstem Kennenlernen wollten wir chen über ihren innigen Wunsch, bald uns verbunden. Auf meine Frage, was
vor allen Dingen unseren Gästen einen wieder nach Hause zu können und die sie anfangs am meisten verwundert
Ort der Ruhe bieten – und gutes WLAN! Angst, die Kinder könnten zu viel in der habe, als sie nach Deutschland bzw.
Denn die Verbindung in die Heimat, zum Schule verpassen, weil in Deutschland zu uns kam, antwortet Swetlana: „Die
zurückgebliebenen Vater, zu Ehemän- die Schulen viel weniger streng seien Freundschaft, die Freundlichkeit und
nern und Söhnen ist natürlich beson- als in der Ukraine. Herzlichkeit, mit der ihr uns Fremde
ders wichtig. Wir klärten, wie sie sich willkommen geheißen habt. Wenn wir
an Nebenkosten beteiligen sollten und Manchmal ist es anstrengend, vier etwas brauchen, helft ihr uns und ihr
was sie von einer Krankenversicherung weitere Personen im Haus zu haben. macht so viel, damit sich die Kinder
erwarten konnten. Die Sprachbarriere Es ist sehr hilfreich, wenn man sich als wohl fühlen. Das haben wir nicht
führte oft dazu, dass diese informati- Helfende die Aufgaben teilen kann und erwartet. Das hat uns überrascht. Das
ven Gespräche sehr lang wurden und die eigenen Grenzen gut kennt. Wieviel erfüllt uns mit großer Dankbarkeit.“
es war gut, dass wir dabei von Anfang Zeit habe ich und wieviel Unterstüt-
an immer genau auf die Körpersprache zung kann ich bieten, ohne dass andere
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