Page 39 - FMO_4-2019-FlipBook
P. 39
FAMILIENMAGAZIN OLDENBURG 4 | 2019
Gesellschaft und das Be- so erschöpft von der Dauerbelastung in die gemeinsame Sexualität einzu-
wusstsein nicht mit den und den sich daraus ergebenden bringen. Wenn das lange so passiert
veränderten Rollenbildern gegenseitigen Anklagen, dass sie sich ist, dann verweigern sich Frauen
und den Bedürfnissen von getrennt und das Haus verkauft haben. irgendwann, anstatt ihre Wünsche zu
Paaren mitgewachsen. formulieren. Ein weiterer Punkt ist,
FAM: Manche Paare hatten schon Jahre dass Frauen rund um die Geburt auch
FAM: Welche Rolle spielt bei Part- keinen Sex mehr miteinander. Was hormonell bedingt andere Nähebe-
nerschaftskonflikten das Geld? sagt das über die Beziehung aus? dürfnisse entwickeln. Darauf Rück-
Manche Paare wollen zum Bei- sicht zu nehmen und Kompromisse zu
spiel unbedingt den Traum von Friederike von Tiedemann: Zunächst: machen, fällt vielen Männern offenbar
einem eigenen Haus realisieren Sexualität ist ein zentraler Faktor für schwer. Ich weiß aus meiner Bera-
und übernehmen sich finanziell. eine Partnerschaft. Und sie wird dann tungsarbeit, dass es bei Paaren um die
zum Problem, wenn einer der Part- Zeit der Schwangerschaft und Geburt
Friederike von Tiedemann: Ja, das The- ner in der gemeinsamen Sexualität vermehrt Affären gibt. Ein weiterer
ma Geld spielt auch eine große Rolle frustriert ist, und der andere ignoriert Lustkiller sind künstlich herbeige-
bei Partnerschaftskonflikten. Zum dies. Ein großes Thema ist heute die führte Schwangerschaften, wenn die
einen ist Geld ja auch eine Machtres- Luststörung bzw. unterschiedliche Männer ihr Sperma zu einem bestimm-
source. Wer mehr Geld hat, hat auch Lustbedürfnisse, die dann zu Spannun- ten Zeitpunkt abgeben müssen. Also
mehr Macht in einer Beziehung. Das gen führen. Viele Paare einigen sich zusammenfassend kann man sagen:
wurde früher oft tabuisiert, bei jungen dann schnell auf den kleinsten ge- Es fehlt Raum für erotische Begeg-
Paaren wird da aber offener drüber meinsamen Nenner. Dadurch wieder- nungen. Und das hat in hohem Maße
gesprochen. Der Streit dreht sich um verliert die Sexualität ihre Span- auch mit einem überfüllten Alltag und
dann oft darum, wer gibt wofür wie nung und schläft deshalb ein. Dabei einem hochgetakteten Leben zu tun.
viel Geld aus. Oft ist es auch so, dass spielt eine Rolle, dass viele Menschen
junge Paare über ihre Verhältnisse heute nach wie vor nicht frei sind in FAM: Also ist so eine eingeschlafene
leben. Ein Beispiel aus meiner Praxis: sexueller Hinsicht, also nicht darüber Sexualität nicht unbedingt Ausdruck
Ein Paar hatte den Anspruch, das Kind sprechen können, nicht mal spüren nicht mehr vorhandener Nähe oder
soll in die Waldorfschule und nicht können, was sie wollen. Dann kommt nicht mehr vorhandener Liebe?
in die Staatsschule, man wollte sich eine romantisch überhöhte Erwartung
nur von Bio-Lebensmitteln ernähren, an Sex. Viele Paare meinen, dass Sex Friederike von Tiedemann: Doch. Das
Urlaubsreisen mussten natürlich etwas Spontanes ist und können sich geht ja damit einher. Wenn Paare
auch sein, man wollte auf dem Land nicht vorstellen, sich dazu zu verab- keine Zeit zu zweit mehr haben und
wohnen und deshalb ein Auto haben reden. Das wiederum ist aber nötig, immer mit der Organisation des
usw. Dass das alles weit über das zur wenn man Kinder hat. Dann muss Lebens beschäftigt sind, und keine
Verfügung stehende Budget hinaus- man eben die Abwesenheit der Kinder, Zeit für Gespräche mehr da ist, in
ging, war dem Paar aber nicht klar, etwa die Flötenstunde der Tochter, denen emotionale Nähe entstehen
weil sie nicht auf die Idee kamen, mal für Paarintimität nutzen. Wenn man kann, dann ist die Wahrscheinlichkeit
wirklich im Detail zu prüfen, was sie diese Freiräume nicht schafft bzw. hoch, dass die Sexualität einschläft.
sich überhaupt leisten konnten. Das nutzt, dann findet Sexualität auch Der Zeitmangel ist übrigens oft auch
wurde tabuisiert. Ich habe auch Paare nicht mehr statt. Ein anderer Punkt durch eine übermäßige Nutzung der
kennengelernt, die sich über Jahre ist, dass viele Frauen nach wie vor die modernen Medien bedingt. Es kommt
abgerackert haben, um ein Haus in Ei- Tendenz haben, sich in der Sexualität aber auch vor, dass Paare sagen:
genleistung zu renovieren. Und als es an die Bedürfnisse der Männer anzu- „Wir verstehen uns in allem bestens,
dann endlich fertig war, waren beide passen, anstatt eigene Bedürfnisse aber die Lust ist verschwunden.“ Für
Friederike von Tiedemann, Jahrgang 1961,
ist Diplom-Psychologin und approbierte
Psychotherapeutin. Sie ist Ausbilderin und
Supervisorin von Paartherapeuten/innen
und leitet das Hans Jellouschek Institut
Freiburg (HJI) für Systemisch-Integrative
Paartherapie. Sie hat das Buch „Versöhnungs-
prozesse in der Paartherapie“ herausgegeben,
das neben einem theoretischen Teil eine
praktische Anleitung inklusive einer DVD
zum Verzeihen und Versöhnen enthält.
39