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Soziales Diplom-Psychologin und Paartherapeutin
Interview mit Friederike von Tiedemann,
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Krisen in Partnerschaften
Der Traum vom Eigenheim kann zum Liebeskiller werden
individualisiert werden. Damit meine
Friederike von Tiedemann: Auf jeden ich: Es wird nicht der gesellschaft-
ie haben sich Paarbeziehun- Fall. Solange das Paar keine Kin- liche Hintergrund als Ursache dafür
gen im Laufe der Zeit ge- der hat, geht das gut. Aber in dem erkannt, dass der Traum von einer
Wwandelt? Was führt heute zu Moment, in dem das Paar aus dem gleichberechtigten Beziehung nicht
Krisen? Darüber haben wir mit der Dip- Kreißsaal herauskommt, betritt es verwirklicht werden kann. Weil die
lom-Psychologin und Paartherapeutin wieder die Welt der 50er-Jahre. Denn Paare im Kopf haben: Es muss doch
Friederike von Tiedemann gesprochen. Deutschland hinkt bis heute bei der möglich sein. Und müssen erleben: Es
Versorgung mit Kitas, die es ermög- ist nicht möglich. Dabei übersehen sie
Im ersten Teil des Interviews ging es lichen, dass beide Partner in Vollzeit aber häufig, dass der gesellschaftliche
unter anderem um überhöhte Ansprü- arbeiten, weit hinterher. Und was Kontext ganz entscheidend dafür ist,
che an die Partnerschaft, den Einfluss dabei noch schlimmer ist: Die Erziehe- was dem einzelnen Menschen möglich
der Arbeitswelt und gesellschaftlicher rinnen in den Kitas kennen oft keine ist, und was nicht. Stattdessen machen
Verhältnisse auf Partnerschaften sowie bindungsorientierte Pädagogik. Da sie den Partner für die Probleme ver-
die zunehmende Unfähigkeit, Unter- werden insbesondere von Frauen der antwortlich, weil er zu wenig dies tut,
schiede auszuhalten. Im zweiten Teil Mittel- und Oberschicht sechsmonati- oder zu viel das will. Ich sage solchen
des Interviews sprachen wir mit Frie- ge Säuglinge in die Betreuung gege- Paaren in der Beratung dann: Nicht
derike von Tiedemann über die Rolle ben, und das Personal in den Kitas ist Sie haben dieses Problem kreiert. Das
des Geldes, über Sex, Patchworkfami- dafür eigentlich gar nicht ausreichend ist ein politisch erzeugtes Problem.
lien und ihr Rezept für eine funktio- qualifiziert. Und das führt dazu, dass Aber auch in der Wirtschaft fehlt ein
nierende Partnerschaft. Zunächst aber wir viele bindungsunsichere Kinder familienfreundliches Bewusstsein. Da
geht es noch einmal um gesellschaft- produzieren. Und es führt auch dazu, wird erwartet, dass maximale Leistung
liche Einflüsse auf Partnerschaften. dass Paare davor zurückscheuen, für das Unternehmen erbracht wird,
Kinder in Kitas zu geben. Sobald ein so als ob hinter dem Berufstätigen
FAM: Während Frauen früher scheel Paar mit dieser Situation konfrontiert noch eine zweite Person steht, die
angesehen wurden, wenn sie arbei- ist, passiert meistens Folgendes: Der alles Private erledigt. In Norwegen
teten, ist es heute fast umgekehrt. Mann hat häufig immer noch ein hö- haben Paare solche Probleme nicht.
Frauen, die sich „nur“ um Haushalt heres Einkommen als die Frau, obwohl Wenn in Skandinavien jemand noch
und Familie kümmern, müssen sich beide den gleichen Qualifikationslevel um 17 Uhr im Büro ist, wird er gefragt,
in der Gesellschaft rechtfertigen. So haben. Und dann bleibt in der Mehr- ob er zu Hause ein Problem habe und
erzählte es mir eine Frau einmal, die zahl der Fälle die Frau zu Hause und deshalb so lange im Büro sitzt. Und
das (mit vier Kindern!) ganz konkret kümmert sich um die Kinder. Und das das Kinderkriegen in jungen Jahren
erlebte. Scheitern Ehen auch an dem schafft Spannungen in der Paarbe- wird bei uns überhaupt nicht geför-
Anspruch, beide müssen arbeiten? ziehung, die aber verrückterweise oft dert. Da sind die Strukturen unserer
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