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Soziales
Wählende sind etwas
anderes als Wähler
Der Verein für deutsche Sprache ist gegen das Gendern
In Deutschland gibt es so etwas ten. Hätten sie zwischen roten, gelben um das Gendern keine gute Idee ist?
wie einen Kulturkampf. Streitthema und grünen Wörtern unterschieden, Baer: Das Gendern erschwert zum
ist das sogenannte „Gendern“. Also bliebe uns heute ein überflüssiger Beispiel die Integration von Zuge-
wenn es zum Beispiel in einem Text Streit erspart. wanderten. Es ist ja so schon schwer
„Autor*innen“ statt „Autoren“ heißt. genug, unsere Sprache zu lernen. Dass
Wir haben darüber mit Oliver Baer FAM: Wenn das sprachliche Geschlecht wir drei verschiedene Geschlechter
gesprochen. Er ist Geschäftsführer die Unterscheidung zwischen biologi- haben, ist für einen Engländer schwer
des Vereins für deutsche Sprache. schen Geschlechtern widerspiegelte, zu begreifen. Wenn nun Menschen aus
Dieser unterstützt auf seiner Website dann dürften wir ja auch nicht „das völlig anderen Sprachfamilien zu uns
den Aufruf „Schluss mit dem Gender- Mädchen“ sagen, sondern müssten kommen, ist das für die nahezu unfass-
Unfug!“, der von der Schriftstellerin auch in der Einzahl „die Mädchen“ bar. Zweites Beispiel: Eine gegenderte
Monika Maron und anderen Prominen- sagen. Sprache ist das Gegenteil von leichter
ten initiiert wurde. Sprache. Und das betrifft immerhin
Baer: Exakt. So ist es. Und noch ein Millionen von Menschen, denen eine
FAM: Herr Baer, wie viele Menschen Hinweis: Sprachen wie Ungarisch, Ben- gegenderte Sprache den Zugang zu
unterstützen den Aufruf inzwischen? gali oder Türkisch kennen überhaupt Texten, ob gelesen oder gesprochen,
kein Geschlecht in der Sprache, wie erheblich erschwert. Drittens: Das
Baer: Es sind inzwischen 72.000 das im Deutschen der Fall ist. Sind die Gendern nützt den Frauen gar nichts.
Unterstützer. Das hat uns überrascht. Frauen in der Türkei deshalb weniger Es schadet ihnen sogar. Denn dadurch
Denn wir hatten mit vielleicht 1.000 unterdrückt oder umgekehrt emanzi- wird der Eindruck erweckt, als wäre
Unterstützern gerechnet. Und jetzt pierter? in unserer Gesellschaft die Gleichstel-
sind es 72 Mal so viel! Und der Zähler lung zwischen Mann und Frau bereits
tickt weiter. FAM: Ich vermute nein. Jedenfalls wer- verwirklicht. Das Gendern trägt nichts
den die Unterschiede diesbezüglich Konstruktives zur Gleichstellung von
FAM: Warum unterstützen Sie diesen nicht in der Sprache begründet sein. Mann und Frau bei, beraubt aber die
Aufruf? Was wollen Sie damit errei- deutsche Sprache ihrer Lebendigkeit.
chen? Baer: Eben. Das ganze Problem mit Durch das Gendern wird sie schwerfäl-
geschlechtlicher Privilegierung oder lig und klingt bürokratisch. Viertens:
Baer: Wir wollen in der Öffentlichkeit Benachteiligung hat mit der Sprache Das wiederum behindert das schöpfe-
das Bewusstsein für den Wert der herzlich wenig zu tun. Mit anderen rische, das innovative Denken. Denken
Sprache wecken. Und wir wollen die Worten: Im deutschen Sprachraum und Sprache hängen eng zusammen.
Meinungsführer auf die Widersprüche plagen wir uns mit einem Problem, Wer ein Problem sprachlich ausdrü-
des Genderns hinweisen. Es ist den das nur scheinbar existiert, aber nicht cken will, wird in seinem Denkfluss ge-
wenigsten klar, dass das grammatische wirklich. stört, wenn er dabei Bindestriche und
Geschlecht wenig zu tun hat mit dem Sternchen mitdenken muss. Durch den
biologischen Geschlecht. Das Wort FAM: Aber ich nehme an, Sie haben Druck zum Gendern wird man ständig
„Geschlecht“ kommt aus dem Althoch- kein Problem damit, wenn ein Redner genötigt, an die Beziehung der biolo-
deutschen und bedeutete ursprünglich sagt „Liebe Bürgerinnen und Bürger“? gischen Geschlechter zu denken, auch
so etwas wie Art, Gattung, Familie, wenn diese mit der Sache selbst nichts
also zum Beispiel das „Geschlecht der Baer: Natürlich nicht. Ein taktvoller zu tun haben.
Habsburger“. Anders ausgedrückt: Das Umgang mit der Sprache war schon
Wort Geschlecht meinte ursprünglich immer geboten. Und wenn ich sowohl FAM: Wie sieht Ihre Alternative aus?
gar nicht die Unterscheidung zwischen Damen als auch Herren vor mir habe,
„weiblich“ und „männlich“. Diese Sicht- sollte das selbstverständlich sein. Das Baer: Man kann endlich mit diskrimi-
weise haben uns die Grammatiker be- ist nichts Neues. nierenden Begriffen wie „Putzfrau“
schert, indem sie die Wortgeschlechter oder „Krankenschwester“ aufräumen.
mit den Begriffen „Maskulinum“, „Fe- FAM: Könnten Sie, um das zu konkreti- Das geschieht bereits. Ansonsten, was
mininum“ und „Neutrum“ bezeichne- sieren, ein paar Beispiele nennen, war- ich schon erwähnte: Wir brauchen
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