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Familie und Soziales
Wir haben unsere Tochter verloren …
Wie soll ich weiterleben?
Liebes Familienmagazin,
ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.
Als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, war ich so glücklich! Mein Mann und ich konnten unser Glück kaum
fassen, wir haben jeden Monat der Schwangerschaft zusammen genossen und uns so auf unser erstes Kind gefreut!
Als bei einer Routineuntersuchung dann festgestellt wurde, dass es keine Herztöne mehr gibt, begann unser Alptraum.
Ich habe dann in der 24. Schwangerschaftswoche meine tote Tochter entbunden. Zusammen mit meinem Mann habe
ich unsere Tochter auf die Welt gebracht, in dem Wissen, dass sie nicht mehr lebt. Dass sie nie leben wird. Nie mit uns
leben wird auf dieser Welt.
Es war alles so furchtbar. So unbegreiflich. So unbeschreiblich.
Zum Glück hatten wir eine wunderbare Begleitung während und nach der Geburt. Wir wurden ermuntert, unsere
Tochter kennenzulernen, sie im Arm zu halten, mit ihr zu sprechen, Fotos von ihr zu machen und uns dann von ihr
zu verabschieden. Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir diese Zeit mit ihr bedeutet hat. Sie sah so wunderschön aus,
meine Tochter. Ich bin so dankbar für diese Stunden, die ich mit ihr hatte und auch für den bewussten Abschied.
Doch nun weiß ich nicht, wie ich mein Leben ohne sie weiterleben soll. Die Menschen um uns herum wissen nicht, wie
sie mit uns umgehen sollen. Und auch ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Alle sprechen von einer Totgeburt,
aber das Wort ist schrecklich für mich. Für mich habe ich eine Tochter bekommen. Wir haben sie Paula genannt und
ich wünschte, unsere Eltern und Freunde könnten sie auch kennenlernen, so wie wir sie kennengelernt haben. Aber wie
soll das gehen? Meine größte Angst ist, dass sie vergessen wird. So, als hätte es sie nie gegeben.
Anna B., 29 Jahre
Liebe Anna, erste Tochter bleiben. Auch wenn sie still Sie von ihr, erzählen Sie von der Geburt,
geboren wurde und offensichtlich nicht zeigen Sie Fotos von ihr. Je offener und
ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. länger auf dieser Welt bleiben konnte. selbstverständlicher Sie von ihr sprechen,
Es tut mir so unendlich leid, dass Sie umso selbstverständlicher wird sie einen
Ihre geliebte Paula wieder gehen lassen Viele Menschen haben große Berüh- Platz auch in dieser Welt bekommen.
mussten, bevor sie überhaupt richtig rungsängste mit dem Tod und vor allem Manchmal ist es leichter, mit Menschen
auf dieser Welt angekommen war. Ein der frühe Tod eines Kindes lässt manche darüber zu sprechen, die dasselbe erlebt
Kind zu verlieren – darauf ist nie- Menschen einfach hilflos werden. Dabei haben. Es gibt in fast jeder Stadt Trauer-
mand vorbereitet und das sollte auch wäre es so schön, so wie sie es sich auch gruppen für Eltern, die ihr Kind verloren
niemandem passieren. Und doch wünschen, wenn Paula einen Platz in haben. Oft gibt es eigene Gruppen für
passiert es. Es ist Ihnen passiert und Sie dieser Welt bekommen könnte. Wenn sie sogenannte Sterneneltern, deren Kind
werden nun ohne Paula weiterleben. Spuren hinterlässt, indem Menschen von gar nicht auf dieser Erde leben konnte.
ihr wissen. Wissen, dass es sie gegeben Hier werden Sie sich aufgehoben und
Auch wenn das alles ganz schrecklich ist, hat, auch wenn sie nicht bleiben konnte. verstanden fühlen. Es geht darum, dass
so freue ich mich sehr für Sie, dass Sie Ich spüre, dass Sie bereits intuitiv eine Sie sich selbst erlauben, Ihren eigenen
die Geburt – auch unter diesen Um- unerschütterliche, grenzenlose Bindung Weg der Trauer zu finden. Alles, was
ständen – so gut begleitet erlebt haben. zu Ihrer Tochter haben und dass Sie – Sie fühlen, ist okay. Sie dürfen alles
Ich freue mich, dass Sie Ihre Tochter wenn man das überhaupt kann – bereits fühlen – Wut, Trauer, Liebe, Scham,
zusammen mit Ihrem Mann kennenler- einen Weg gefunden haben, diesem Verzweiflung, Dankbarkeit. Und Sie
nen durften und ganz bewusst Abschied Schicksal zuzustimmen. Ich fühle Ihre dürfen zwischendurch lachen und
nehmen konnten. Ich freue mich, dass tiefe Mutterliebe, die über den Tod Freude empfinden! Alles darf sein. Sie
Sie in diesen Monaten der Schwanger- hinaus besteht und die Paula beglei- werden in der nächsten Zeit sicher Ritu-
schaft und des Abschieds eine so innige ten wird, wo immer sie jetzt auch ist. ale entwickeln, die Sie immer wieder mit
Beziehung zu Ihrer Tochter aufgebaut Paula verbinden. Vielleicht pflanzen Sie
haben, dass diese natürlich für immer Ich möchte Sie ermutigen, trauen Sie einen Baum, vielleicht sprechen Sie mit
bestehen bleibt. Sie werden immer Paulas sich, diese Beziehung zu Paula auch vor ihr jeden Abend und Morgen, vielleicht
Mama sein und Paula wird immer Ihre anderen zu kommunizieren. Sprechen zünden Sie eine Kerze zu ihrem Ge-
22 familienmagazin | Winter 2023/24