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arbeit oder einen zu weit entfernten Arbeitsort, der einen   lich verwirklichen. Die Kinder sind selbstständig genug
                 zusätzlichen zeitlichen Aufwand mit sich bringt, der nicht   und ich habe meine Bedürfnisse lange genug hinten an-
                 mehr in einer vertretbaren Relation zur Arbeitszeit steht.  gestellt!“ Schade ist nur, dass das so lange dauern muss.

                 Hinzu kommt noch die angespannte Situation bei der   FAM: Was muss sich ändern?
                 Betreuung von Kindern. Bekommen Sie erst mal einen
                 guten Betreuungsplatz, wo dann auch noch die Betreu-  Julia Bäcker: Wir benötigen eine bessere und vor allem
                 ungszeiten zu den Berufstätigkeiten der Eltern passen!   flächendeckendere Betreuung von Kindern. Sie sollte am
                 In der Kita mag das noch weitestgehend funktionieren,   besten kostenfrei sein, damit sich in Familien gar nicht
                 solange das Personal ausreichend vorhanden und gerade   erst die Frage stellt, wessen Arbeitsleistung mehr wert
                 gesund ist. Sollte die Kita schließen, auch nur vorüber-  ist und ob es sich überhaupt finanziell lohnen würde,
                 gehend, bedeutet dies für Mütter, dass sie ihre Berufs-  wenn die Kinder in eine Betreuung und dadurch beide
                 tätigkeit erst einmal unterbrechen müssen. Die nächste   Eltern arbeiten gehen. Eine ausreichende Altersvorsorge
                 große Herausforderung erwartet die Eltern, wenn der   ist dabei ein weiterer Aspekt. Auch das Thema Ehegat-
                 Übergang in die Grundschule erfolgt. Einen Hortplatz   tensplitting spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle.
                 zu ergattern, ist vielerorts sehr schwierig und die Zeiten,   Heutzutage kann es sich zudem aufgrund gestiegener
                                      in denen die Kinder betreut   Lebenshaltungskosten kaum noch eine Familie leisten,
                                      werden, verkürzen sich nun   nur ein Einkommen zu haben.
                                      stark. Auch Ferienzeiten stel-
                                      len ein Problem dar.        Arbeitgeber*innen sollten offen für flexiblere Arbeits-
                                      Da es meistens die Frauen   modelle sein, auch in den typischen Männerberufen,
                                      sind, die in schlechter bezahl-  oder zumindest mal darüber nachdenken, wie Ar-
                                      ten Jobs als ihre männlichen   beitsprozesse so organisiert werden können, dass die
                                      Partner arbeiten, reduzieren   Sorgearbeit leichter auf beide Elternteile verteilt werden
                                                                                    kann. Es gibt hierzulande leider
                                                                                    viele, eigentlich dringend benö-
                                                                                    tigte weibliche Fachkräfte, die
                Julia Bäcker (Job-Coachin und pädagogische Mitarbeiterin der KOS –    jedoch aufgrund der strukturellen
                Koordinierungsstelle Frauen und Wirtschaft                          Bedingungen in der Arbeitswelt
                                                                                    nicht arbeiten gehen können, da
                                                                                    sie Kinder haben.

                 sie ihre Arbeitszeit oder geben den Wunschberuf auf,   Wir benötigen zudem eine gerechtere Entlohnung der
                 damit die Familie funktioniert. Der Spagat, sich beruf-  von weiblichen Personen ausgeübten Berufstätigkeiten.
                 lich selbst zu verwirklichen und auch den Kindern die   Durch eine angespannte wirtschaftliche Situation haben
                 nötige Aufmerksamkeit zu schenken, ist immens.   Eltern, selbst wenn sie eine gerechtere Verteilung der
                                                                  Sorgearbeit wollten, oft nicht die Möglichkeit, sie gerecht
                 Viele gehen hochmotiviert in den Berufswiedereinstieg,   unter sich zu verteilen, da am Ende des Monats zählt,
                 werden aber durch die gegebenen Strukturen ausge-  was auf dem Konto ist.
                 bremst. Frauen, die aus der Elternzeit zurückkommen,
                 berichten auch, dass die Wertschätzung der geleisteten   Gesellschaft, Politik und Wirtschaft müssen Familien
                 Sorgearbeit fehlt. Dadurch sinkt ihr Selbstwertgefühl,   mit Kindern besser in ihre Planungen einschließen.
                 wenn sie sich wieder auf dem Arbeitsmarkt bewegen,   Ohne die Sorgetragenden würde die Arbeitswelt nicht
                 sie waren die letzten ein, zwei Jahre ja „nur Zuhause“.   funktionieren. Kinder-, Kranken- und Altenpflege und
                 Auch die innerliche Zerrissenheit, einen guten Job zu   nicht zuletzt die unbezahlte, und damit wenig wertge-
                 machen, die Kinder gut aufgehoben zu wissen und nicht   schätzte Sorgearbeit in den Familien, sind das Rückgrat
                 den Stempel der Rabenmutter zu erhalten, spiegelt sich   unserer Gesellschaft.
                 in den Beratungen wider.
                                                                  Schließlich sind die Kinder von heute die Fachkräfte von
                 Ich erlebe in den Gesprächen nicht selten Frauen, die   morgen!
                 ihre berufliche Verwirklichung in den Hintergrund ge-
                 stellt hatten, dann in ihrer Lebensmitte zu mir kommen   Weitere Infos zur Koordinierungsstelle und dem Bera-
                 und sagen: „Jetzt bin ich dran und möchte mich beruf-  tungsangebot unter www.frauen-und-wirtschaft.de




                 * https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/datenreport-2021/familie-lebensformen-und-kinder/
                 329573/vereinbarkeit-von-familie-und-beruf/


                                                                                                   familienmagazin | Sommer 2023  15
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