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Soziales
Oldenburger Familie wendet
sich an das Familienmagazin:
Fröhliche
Weihnachten!?
Zur Beantwortung und als Ratgeberin befragen wir
Sabine Tewes, Ärztin und Familientherapeutin in Oldenburg
Bea Maier*: Nur noch wenige Wochen
bis Weihnachten, überall hört man
Weihnachtsmusik, die Werbung zeigt
glückliche Familien unter dem Weih-
nachtsbaum, und ich denke: „Ja, ge- dieses Fest wirklich abschaffen oder
nau das ist es, was ich auch will!“ Vor wollen Sie nur den Stress abschaffen? Wie realistisch ist es da, dass all diese
meinem inneren Auge sehe ich unsere Was macht Ihnen so viel Stress? unterschiedlichen Bedürfnisse unter
glückliche Familie einträchtig unter einen Hut gebracht werden können?
dem Baum und gleichzeitig weiß ich, Im Prinzip haben Sie sich die Antwort
dass das so nicht funktionieren wird. schon selbst gegeben. Sie haben das Also gilt es als Erstes, sich von der
Mir graut schon jetzt davor! innere Bild einer perfekten Familie Illusion zu verabschieden, dass an
Wenn ich nur an Weihnachten den- vor Augen. Sie haben eine Vorstellung Weihnachten die Bedürfnisse aller
ke, habe ich Stress! Am liebsten davon, wie Weihnachten idealerweise hundertprozentig erfüllt werden kön-
würde ich es dieses Jahr ganz aus- ablaufen sollte. Alle sind zufrieden nen. Ja, Sie haben richtig gehört. Das
fallen lassen, aber das kann ich und glücklich. Der Weihnachtsbaum ist eine Illusion. Auch Ihre Bedürfnisse
meinen Kindern ja nicht antun! ist wunderbar geschmückt, das Fünf- werden dieses Jahr an Weihnachten
Gänge-Menü steht auf dem festlich nicht alle erfüllt werden. Wie wäre
gedeckten Tisch. Alle freuen sich über es, wenn Sie das erkennen und dem
ihre Geschenke und sitzen gemüt- zustimmen? Das perfekte Weihnach-
lich bis Mitternacht zusammen. ten wird es nicht geben! Also gilt es,
Doch wie realistisch ist dieses Bild? Prioritäten zu setzen. Wie wäre es,
Weihnachten im Kreise der Familie im Vorfeld mit allen Beteiligten zu
bedeutet, es treffen unterschiedli- sprechen, und jeder darf erzählen, was
che Menschen mit unterschiedlichen für ihn Weihnachten am allerwichtigs-
© privat Bedürfnissen aufeinander. Das allein ten ist. Und der Fokus sollte dabei auf
der Freude liegen. Was ist für mich
ist schon Konfliktpotenzial. Eltern,
Kinder unterschiedlichen Alters, Weihnachten die allergrößte Freude?
Sabine Tewes: Liebe Frau Maier, Großeltern. Vielleicht gibt es sogar Wenn ich an Weihnachten denke, wor-
Sie sind mit diesem Gedanken nicht im Rahmen von Patchworkfamilien auf freue ich mich am meisten? Wenn
allein. Immer häufiger höre ich gerade noch die Kinder aus früheren Part- ich mir eine einzige Sache wünschen
von Müttern, dass sie Weihnachten nerschaften und die dazugehörigen dürfte, die Weihnachten auf jeden Fall
am liebsten abschaffen möchten. ehemaligen Partner, die ebenfalls dabei sein sollte, was wäre das dann?
Aber ist das wirklich so? Wollen Sie berücksichtigt werden müssen. Dass alle zusammen sind? Dass es
*Name wurde von der Redaktion geändert
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