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und verhafteten deren Funktionäre. Noch wald oder in die Berge. Reisebusse oder
im selben Jahr, im November 1933, wurde Urlauberzüge der Bundesbahn brachten
die nationalsozialistische Organisation die Einkommensschwächeren an ihre
„Kraft durch Freude“ gegründet. Freude, Urlaubsziele. Fernweh und Reiselust
vor allem am Sport, sollte den Arbeitern weckten die zahlreichen Heimatfilme wie
Kraft und Gesundheit geben, einerseits „Schwarzwaldmädel“ oder „Fischerin
zur Stärkung der Volkswirtschaft, ande- vom Bodensee“ im Kino.
rerseits aber auch, um aus den Deutschen
ein kriegstüchtiges Volk zu machen. Auslandsreisen, zum Beispiel nach Itali-
Mit dem Amt für Reisen, Wandern und en, blieben zunächst für viele Deutsche
Urlaub war „KdF“ der größte Reisever- nur ein Traum. Die meisten Touristen zog
beruflicher Position reichte deren Span- anstalter in der Zeit des Nationalsozialis- es ins benachbarte Österreich. Noch gab
ne von drei Tagen bis zu sechs Wochen. mus. Im Seebad Prora auf Rügen entstand es keine Hotelburgen, man stieg in aus
Begünstigt durch diese privilegierte eine gigantische Ferienanlage, drei heutiger Sicht bescheidenen Pensionen
Urlaubsgesetzgebung wurde um 1920 die Kreuzfahrtschiffe wurden gebaut. ab oder schlug sein Zelt auf dem Cam-
„Sommerfrische“ populär, eine ausgeprägt pingplatz auf. Gekocht wurde dort selbst,
familiäre Form des Urlaubs in einem länd- Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten es sparte Kosten. Exotischen Speisen des
lichen Umfeld. Die Unterbringung der die Gewerkschaften ihre Arbeit wieder Gastlandes, wie Spaghetti oder Pizza,
Sommerfrischler war meist recht einfach aufnehmen. Ihnen gelang es in fast allen traute man nicht so recht. Schiffs- oder
und erfolgte in der Regel nicht allzu weit Branchen, den gesetzlichen Mindestur- gar Flugreisen waren viel zu teuer. Letzte-
vom Heimatort entfernt. Freibaden an laub durch Tarifverträge auszudehnen. re galten auch als gefährlich.
Seen oder in der Ostsee entwickelte sich In dem im Jahr 1963 verabschiedeten
zu einem beliebten Freizeitvergnügen, Bundesurlaubsgesetz wurde dann der In den 1970er-Jahren begann der Massen-
ebenso wie Wandern oder Bergsteigen in Anspruch jedes Arbeitnehmers auf tourismus an der spanischen Mittelmeer-
Bayern. Man reiste mit der Eisenbahn. 24 Werktage Urlaub festgeschrieben, der küste und auf den Balearischen Inseln, es
Samstag galt dabei noch als normaler zog nun die meisten deutschen Urlauber
Arbeiter hatten dagegen lange keinen Werktag. in den sonnigen Süden. Begeisterte
rechtlichen Anspruch auf Urlaub. Einige Berichte von heimgekehrten Urlaubern
wenige sozial eingestellte Unternehmen, Die 1950er- und 1960er-Jahre brachten ließen das Interesse an dieser Region ste-
wie beispielsweise die Optischen Wer- mit dem „Wirtschaftswunder“ bessere tig wachsen. Das ideale Reisefahrzeug für
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atlantic-kid ke Carl Zeiss in Jena, gewährten ihren Einkommen, zunehmende Kaufkraft eine Familie war der geräumige VW-Bus,
Betriebsangehörigen jedoch aus freien und einen höheren Wohlstand. Man Flugreisen waren zu dieser Zeit noch kei-
Stücken ein paar Tage Jahresurlaub. Häu- konnte sich nun wieder mehr als nur ne gängige Option, sie waren immer noch
fig nahmen ihn die Arbeiter jedoch nicht die Dinge des täglichen Bedarfs leisten, den Besserverdienern vorbehalten. Erst in
wahr und ließen sich, da das Einkommen auch Urlaubsreisen waren finanzierbar. den 1980er-Jahren kamen dann preis-
ohnehin zu knapp war, stattdessen Geld Die Neuzulassung von Kraftfahrzeu- günstige All-Inklusive-Flugreisen auf, die
ausbezahlen. In Deutschland versuchte gen, meist Kleinwagen und Motorräder, von Reiseunternehmen wie Neckermann
unter anderem Ferdinand Lassalle die boomte. Auch der Straßenbau erlebte angeboten wurden.
Situation der Arbeiterklasse zu verbes- einen enormen Aufschwung. Es ging mit
sern. Viele Arbeiter begannen, sich zu dem Käfer oder dem Opel Olympia an Matthias Schneege
Gewerkschaften zusammenzuschließen, die bayerischen Seen, in den Schwarz-
um ihre Wünsche durchzusetzen. Die
erste gesetzlich festgeschriebene Urlaubs-
regelung folgte im Jahr 1903. Der Zentral- © iStock.com/
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verband deutscher Brauereiarbeiter setzte atlantic-kid
sich als erste Arbeitergruppe durch und
erkämpfte sich drei freie, bezahlte Tage
Urlaub im Jahr. Daraufhin folgten auch
andere Arbeitergruppen dem Beispiel
und setzten für sich bezahlten Urlaub
durch. Mit der Zeit nahm die Anzahl der
geforderten freien Tage zu. 1929 gab es
dann schon um die 8.000 Tarifverträge,
in denen bezahlter Erholungsurlaub fest-
geschrieben wurde, auch wenn es nach
wie vor nur um wenige Tage ging.
Am 2. Mai 1933, einen Tag nach dem
„Tag der Arbeit“, den die SPD im Jahr
1890 eingeführt hatte, stürmten SA-Män-
ner die Häuser der freien Gewerkschaften
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