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Freizeit und Buch
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Wer sprechen kann,
kann auch singen
Das gesungene Lied fördert die Sprachentwicklung des Kindes
as wäre das Leben ohne Musik? Warum ist es so, lich macht“. Er betont, dass aktives Singen in jedem Alter
dass wir Singen als etwas Außergewöhnliches wichtig ist, und dass dabei Glückshormone ausgeschüttet
Wund Besonderes sehen, und dass manche sogar werden. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob Menschen,
die Verbindung zum Singen komplett verloren haben? Und die singen, glücklicher sind. Er vertritt die Auffassung,
wir es aber trotzdem lieben und auch wollen? Auch für die dass häufiges Singen, also nicht nur an Geburtstagen oder
kindliche Entwicklung ist Musik wichtig. Sie ist ein zent- Weihnachten, das Wohlbefinden steigert, Abwehrkräfte
raler Bestandteil der menschlichen Kultur, begleitet uns in stärkt und generationsverbindend wirkt. Bei gesund-
allen Lebensphasen und sollte in das Familienleben und das heitlichen Problemen empfiehlt er Singen als rezept- und
Leben mit Kindern frühzeitig integriert werden. nebenwirkungsfreie Therapie mit Spaßfaktor.
Heidi Guericke ist Organistin, Kantorin und Musikpäda- FAM: Meist hört ein Kind mit Kopfhörern Musik von ei-
gogin. Sie leitet Chöre und blickt auf eine vier Jahrzehnte nem digitalen Endgerät. Schon von klein an erleben Kinder
währende Tätigkeit als Musiklehrerin an einem Gymnasi- nicht mehr persönlich die Musik und das Singen.
um in Oldenburg zurück.
H. Guericke: Wenn Kinder zum Schlafengehen ein Lied
FAM: Die Musik ist ein wichtiger, nicht zu unterschätzen- vorgesungen bekommen, ist das nicht nur ein schönes
der Bestandteil unseres Lebens. Ritual, sondern ein ganz persönliches Geschenk des Eltern-
teils an das Kind. Ob es allerdings ein Lied aus der „Audio-
H. Guericke: Von Geburt auf ist die Kommunikation datei“ ist oder ein selbst gesungenes, macht einen erheb-
mit anderen Menschen wichtig. So hat jeder von uns auf lichen und sehr großen Unterschied, da die persönliche
natürlichem Wege sein persönliches „Instrument“, seine mentale Zuwendung fehlt. So haben Musik und Sprache
individuelle, unverwechselbare Stimme mitbekommen. enge Verbindungen. Das gesungene Lied unterstützt zudem
Nur so ist die Möglichkeit für ein soziales Miteinander ge- auch die Sprachentwicklung. Das hängt so zusammen, dass
geben. Ein Baby weiß intuitiv, also unbewusst, dass es sein Musik und Sprache vergleichbar im Gehirn verarbeitet
Bedürfnis durch Schreien mitteilen kann. Würde es dies werden.
nicht können, würden die Stimmbänder verkümmern.
Der Musikwissenschaftler Prof. Dr. Gunter Kreutz FAM: Der Satz „Du kannst nicht singen“ begleitet viele
(Uni OL), hat ein Buch geschrieben „Warum Singen glück- Menschen ein Leben lang.
46 familienmagazin | Frühjahr 2024